Punk und Religion rückt insbesondere in der neueren Geschichte der Jugendsubkultur immer wieder in das Interesse der szeneinternen Öffentlichkeit und sorgt dort für so manche Kontroverse. Waren es vorerst Bands in ihrer Gesamterscheinung, die sich dem Christian Hardcore verschrieben hatten und somit der subkulturellen Codierung nicht mehr entsprachen, so sorgt neuerdings auch die religiöse Einstellung einzelner für helle Aufregung. Jüngst bietet sich unter anderm Brian Fallon als Angriffsfläche an, da seine christliche Überzeugung vom Kreationismus Einzug in die Foren, Magazine und Kneipen der Punkszene gefunden hat. In der folgenden Serie will ich dem Phänomen von Religion und Glauben in Punk und Hardcore auf den Grund gehen.
Teil 1 – Die Genese der Rebellion als Ware
Am Anfang steht ein explosives Gemisch aus bewußt inszeniertem Dilletantismus, der sich Anfang der 1970er Jahre gegen den aufgeblasenen Bombastrock jener Zeit richtet. Punk betritt die Bühne, die sich die Instrumentalrockgruppen und epischen Virtuosen der Rockmusik bisher nur untereinander teilten. Keine aufwendig gestalteten Konzerte, die Abkehr vom singulären Ultra-Fan, der sich auf Kapellen wie Jethro Tull, Zeppelin oder Pink Floyd einschwor und die Hinwendung zu sozialistischen, anarchistischen, nihilistischen oder libertären Ideen wurden zur Prämisse einer neuartigen Subkultur, die sich als solche nicht begreifen wollte.
Entgegen dem heutigen Verständnis von Punk als Teil einer weltumspannenden Unterhaltungskultur, die sich im Zenit verkapitalisierter Ausschlachtung befindet, ist Punk Anfang und Mitte der 1970er Jahre ein avantgardistisches Kunstobjekt, welches sich in Teilen dem Situationismus der 1960er Jahre verschrieben hatte. Hierbei ging es vor allem um den Einzug der Kunst in den Alltag und die Abschaffung von klassenspezifischen Hierarchien. Zurückzuführen ist dieser Einfluss auf Malcom Mclaren, der während seines Studiums Mitglied der Situationistischen Internationalen war, deren englische Sektion 1967 aus der S.I. ausgeschlossen wurde. Wie für McLaren die Zeit des Situationismus endete, verlangte aus situationistischer Perspektive auch Punk im Sinne eines situativen Spektakels, mit der Funktionalisierung von Punk an sich durch die Medien und Musikindustrie, beendet zu sein.
Mit einem großen Schritt ist es auch hier möglich, die Uniformität subkultureller Codierungen vom Moment des situationistischen Ablebens von Punk auf die heutige Verfassung der Punkszene und ihrer Anhänger zu transferieren. Dabei gilt zu beachten, dass die Kritik am Ausverkauf und dem Verrat an Punk keine gegenwärtige Erscheinung ist. Spätestens mit der Geburt der zweiten Punk-Generation lässt sich die situationistische These der Rekuperation ohne jeden Zweifel problemlos anwenden. Diese geht von einem funktionalisierten Prozess aus, in dem das Spektakel der Situation nur kopiert, neu verpackt und anders verkauft wird. Von diesem Mechanismus machte insbesondere die Musikindustrie inklusive der dazugehörigen Musikpresse Gebrauch. In der Literatur tauchen dahingehend die Fanzines als Bedrohung der etablierten Musikpresse auf. Kein Wunder also, dass es Anhänger der Punkbewegung schließlich schafften sich als Schreiber von eigenen Publikationen verdient zu machen, während die Hochglanz-Magazine drohten den Sprung auf den Punkrockzug zu verpassen.
Soviel zunächst zum Umstand des Spektakels und seinem Ergiessen in der Rekuperation durch die Industrie.
„Erzählt mir nichts von euren Göttern, denn die haben niemals existiert“
Wie bereits erwähnt stellte sich die Punkbewegung gegen Etabliertheit, Norm und Etikette (auch wenn Punk im Sinne einer späteren Jugendsubkultur bzw. dem unvermeidlichem Abklatsch der ersten Generation sich einer Vielzahl von Etiketten bediente und das auch heute noch bereitwillig tut). Einen Aspekt des Aufbegehrens gegen Etabliertes, Normatives war und ist thematisch die Religion. Dieser Teil liest sich im Zusammenhang wie selbstverständlich. Seien es Bands wie Crass, Partizans („You follow religion. It is your nature. Never question wether it makes sense“), Subhumans oder auch die deutschen Bands Slime und Normahl („Man sagt, wir sollen leben nach eurer Sitte und Moral und wer ein bischen anders ist den verflucht ihr tausendmal, manchmal fühle ich mich gegen euch wie Don Quichote. Ach, lasst mich doch in Ruhe, ich scheiss auf euch und eurern Gott“), sie hatten eins gemeinsam. Die Verweigerung kollektiver und sinnstiftender Gesellschaftsgebilde. Die Liste der Musiker und Künstler ließe sich hier beliebig fortsetzen.
Ohne genaue Datierung beginnt im Laufe der 1980er Jahre in den USA eine Vereinnahmung der hiesigen Punkszene durch christliche Werte. Ob und wie die Entstehung durch die positive Attitüde der Straight Edge Bewegung beeinflusst wurde, lässt sich meines Erachtens schwer nachvollziehen, zumal auch hier verschiedene Thesen existieren. Beschränken wir uns also auf das Wesentliche. Die Herausbildung religiöser Punk und Hardcorepunk Bands in den USA wird begünstigt durch das Jesus Movement, das verschiedene Jugendsubkulturen aufsaugt. Ein weiterer Baustein für die Theisierung von Punk ist die vermeintliche Analogie von Anti-Autoritarismus in Bibel und Subkultur. Einen wesentlichen Unterschied sehen allerdings viele religiöse Punkbands in der organisierten Form von Religion und im reinen Glauben an sich. Diese Annahme wird in der Regel untermauert vom Anspruch auf Selbstbestimmung, auch bei der Wahl und Ausübung von jeglicher Religion, als wäre die Religionsausübung innerhalb der Punkszene grundsätzlich der Kontrolle und Legitimation durch die Szene selbst unterworfen.
tbc.
Literatur und Quellen:
Thomas Lau: Die heiligen Narren. Berlin, 1992
Preston Jones und Greg Graffin: Is belief in god good, bad or irrelevant? A professor and a punk rocker discuss science, religion, naturalism and christanity. InterVarsity Press 2006
Fuze #35 Ingo Rieser: The Gaslight Anthem. Der Sänger von Slayer ist Katholik. 2012 S. 20-21
ox-fanzine: The Gaslight Anthem: Brian Fallon outet sich als Kreationist. 2011